Wer seine Eltern schlägt und
beleidigt kann seinen Pflichtteil entzogen bekommen
(dpa/red). Der Erblasser kann
einen grundsätzlich erbberechtigten Verwandten enterben. Den sogenannten
Pflichtteil erhält dieser jedoch weiterhin. Erst wenn dieser eine schwerwiegende
Verfehlungen begangen hat, kann der Erblasser diesem auch den Pflichtteil durch
eine testamentarische Verfügung entziehen. Nach dem Saarländischen
Oberlandesgericht kann der Pflichtteil entzogen werden, wenn der Erbberechtigte
den Erblasser schlägt und beleidigt (Urteil
vom 05.10.2016; AZ: 5 U 61/15).
Die Tochter des Erblassers verlässt ihren Ehemann und ihre 3
minderjährigen Kinder, um sich einer neuen Beziehung mit einem verheirateten
Mann zu widmen. Bei einem Zusammentreffen des Erblassers, dessen Tochter, ihrem
Ehemann und einer weiteren Tochter des Erblassers kommt es zu einem Streit
zwischen der Tochter und dem Erblasser. Nachdem der Erblasser erklärt, sie wisse
überhaupt nicht, was sie ihren Kindern antue, schlägt die Tochter den Erblasser
mehrfach mit der Hand ins Gesicht; sie zeigt ihm den gestreckten Mittelfinger
und bezeichnet ihn als „Dreckschwein“, „Arschloch“ und „Idiot“, dem sie wünsche,
er möge „verrecken“. Daraufhin enterbt der Erblasser seine Tochter durch ein
notarielles Testament und entzieht ihr darüber hinaus auch den Pflichtteil. Dazu
schreibt er im Testament: „Meine Tochter hat mich Ende April 1996 am Tage ihres
Auszuges aus dem Hausanwesen geschlagen. Bei diesem Vorfall waren mein
Schwiegersohn sowie meine andere Tochter anwesend.“ Die Tochter geht gerichtlich
gegen die Entziehung des Pflichtteils vor.
Das Saarländische Oberlandesgericht sieht die Voraussetzungen
für eine Pflichtteilsentziehung wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens
gegen den Erblasser als gegeben an: Danach muss die Entziehung des Pflichtteils
durch letztwillige Verfügung erfolgen, und der Grund der Entziehung muss zur
Zeit der Errichtung bestehen und in der Verfügung angegeben sein. Die Angabe
muss hinreichend konkret erfolgen, sodass später gerichtlich geklärt werden
kann, auf weichen Entziehungsgrund der Erblasser seinen Entschluss stützt.
Zugleich soll so ein „Nachschieben von Gründen“ durch die Erben in einem
Pflichtteilsentziehungsprozess vermieden werden. Es brauchen nicht sämtliche
Einzelheiten angeführt zu werden, vielmehr genügt jede substanziierte
Bezeichnung, die es erlaubt, durch Auslegung festzustellen, weshalb in concreto
der Pflichtteil entzogen worden ist und auf welchen Lebenssachverhalt sich der
Erblasser bezieht.
Im notariellen Testament des Erblassers ist auf einen
konkreten Vorfall im Hausanwesen Bezug genommen. Dass lediglich vom Schlagen die
Rede ist, nicht aber von den durch einen Zeugen bekundeten Beleidigungen, steht
deren Berücksichtigung nicht entgegen. Der Erblasser braucht in seiner
letztwilligen Verfügung nicht den gesamten Geschehensablauf in allen
Einzelheiten zu schildern. Das Gericht darf sich bei der Auslegung der Verfügung
nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, sondern muss sämtliche
zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde auswerten, die zur
Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sind. Danach ist in
einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die durch Auslegung ermittelten konkreten
Entziehungsgründe in dem Testament selbst einen hinreichenden Ausdruck gefunden
haben. Im Streitfall ist der „Kern“ des vom Erblasser zur Begründung der
Pflichtteilsentziehung genannten Lebenssachverhalts eindeutig individualisiert.
Die Angaben waren so konkret, dass sie die gerichtliche Klärung der relevanten
Einzelheiten des als Entziehungsgrund benannten Ereignisses einschließlich der
die Körperverletzung begleitenden massiven Beschimpfungen ohne weiteres
ermöglichten. Das gilt umso mehr, als der Erblasser selbst durch die Benennung
der beiden Zeugen in seiner letztwilligen Verfügung die Grundlage dafür schuf,
um später die Begleitumstände der Schläge, mithin auch die in unmittelbarem
sachlichem und zeitlichem Zusammenhang dazu stehenden verbalen Attacken,
aufklären und beweisen zu können.
Der vor der Gesetzesreform im Gesetz aufgeführte Grund für
eine Pflichtteilsentziehung der körperlichen Misshandlung entspricht heute einem
schweren vorsätzlichen Vergehen zum Beispiel gegen den Vater. Darunter ist eine
üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung zu verstehen, die das körperliche
Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich
beeinträchtigt. Sie braucht weder grob noch gefährlich oder schwer zu sein. Auch
eine einmalige Misshandlung genügt. Die Tochter hat das körperliche Wohlbefinden
ihres Vaters durch eine üble, unangemessene Behandlung nicht bloß unerheblich
beeinträchtigt, indem sie ihn mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht schlug.
Die Verabreichung von Ohrfeigen hat in der Regel eine mehr als bloß unerhebliche
Beeinträchtigung des Wohlbefindens zur Folge. Dafür, dass es hier anders gewesen
sein könnte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Das Ausbleiben von
Verletzungsfolgen ist unschädlich. Der Hinweis der Tochter, dem Erblasser wäre
es ein Leichtes gewesen, einen heftigen Angriff seiner Tochter abzuwehren, ist
unverständlich. Bei einem für die Pflichtteilsverletzung notwendigen schweren
vorsätzlichen Vergehen geht es nicht darum, welche Verteidigungsmöglichkeiten
dem Erblasser gegen eine körperliche Misshandlung zur Verfügung stehen.
Die Pflichtteilsentziehung setzt nicht nur eine vorsätzliche
Körperverletzung voraus, sondern setzt stets auch eine schwere Verletzung der
familiären Achtung voraus, die Kinder ihren Eltern schulden (Pietätsverletzung).
Die Verletzung muss so schwer sein, dass sie das Eltern-Kind-Verhältnis
empfindlich stört. Dieses Erfordernis rechtfertigt sich damit, dass eine
Pflichtteilsentziehung mit ihrem außerordentlichen Gewicht und ihrem
demütigenden Charakter einer „Verstoßung über den Tod hinaus“ nahekommt und dass
sie deshalb ohne eine schwere Verletzung der dem Erblasser geschuldeten
familiären Achtung auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu
begründen ist. Eine Entziehung dieser Rechtsposition kann auch bei vorsätzlichen
Körperverletzungen, deren Gewicht sehr unterschiedlich sein kann, nur unter
konkreter Abwägung der Schwere der dem Abkömmling vorgeworfenen Vergehen gegen
die familiäre Bande zum Erblasser einerseits und der darauf gestützten
Zerschneidung eben dieser Bande durch Quasiverstoßung andererseits
gerechtfertigt werden. Die Tochter hat durch die von ihr ausgeübten Schläge die
dem Erblasser geschuldete familiäre Achtung schwer verletzt. Schläge ins Gesicht
sind schon für sich genommen demütigend. Mit ihnen wird in grober Form
Missachtung ausgedrückt. Das gilt umso mehr, als die Klägerin mehrfach
zugeschlagen hat. Währenddessen hat sie den Erblasser noch in gröbster und
verletzendster Art und Weise beleidigt. Hinzu kommt, dass die Misshandlungen und
Beleidigungen im Beisein weiterer Personen erfolgt sind und dass die Tochter
ihrem Vater in besonders verabscheuungswürdiger Art und Weise den Tod
herbeigewünscht hat.
Der Erblasser hat an jenem Tag mitgeholfen, eines der Kinder
der Tochter medizinisch zu versorgen. Die Klägerin hat beabsichtigt, ihre Kinder
zu verlassen und den Kontakt abzubrechen, um sich einer neuen Beziehung mit
einem verheirateten Mann zu widmen. Die Situation hat den Erblasser zu der
Aussage veranlasst, sie wisse gar nicht, was sie ihren Kindern antue. Er hat
damit in moderater und nachvollziehbarer Art und Weise an ihr
Verantwortungsbewusstsein und auch an ihre rechtlichen Verpflichtungen gegenüber
ihren 3 minderjährigen Kindern appelliert. Dies rechtfertigt die körperliche
Misshandlung und die schweren Beleidigungen der Tochter keinesfalls. Wird eine
Körperverletzung unter solchen Begleitumständen ausgeführt, stellt das
unzweifelhaft eine schwere Pietätsverletzung dar.
Das Saarländische Oberlandesgericht teilt die Einschätzung der
Tochter nicht, ihr Fehlverhalten wiege deshalb weniger schwer, weil ihr Vater
sich trotz heftiger, nach der Behauptung der Tochter auch körperlicher
Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrem damaligen Ehemann mit Vorwürfen in
ihre persönlichen Angelegenheiten eingebracht und sich dabei gegen sie gestellt
hat. Es ist weder angezeigt noch möglich, darüber zu befinden, inwieweit die
Motive der Tochter zum Verlassen ihrer Familie billigenswert gewesen sein mögen
oder nicht. Im hiesigen Rechtsstreit geht es allein darum, ob ihr Verhalten
gerade gegenüber dem Erblasser die familiäre Bande in einer derart gravierenden
Weise zerschneidet, dass er ihre Teilhabe an seinem Nachlass als schlechthin
unzumutbar empfinden darf. Das war der Fall. Das OLG betrachtet die den Schlägen
vorangegangene Äußerung des Erblassers, der seine Tochter an die Bedürfnisse
ihrer minderjährigen Kinder erinnert, selbst dann nicht als übergriffig, wenn es
im Rahmen des gesamten Konflikts zu irgendwelchen Handgreiflichkeiten und
Beleidigungen zwischen den Eheleuten gekommen sein sollte. Selbst aus der Sicht
eines noch so verständnisvollen Vaters war eine körperliche und verbale Attacke
der hier in Rede stehenden Art nicht hinnehmbar, und der Erblasser hat ein
legitimes und überwiegendes Interesse daran, frei zu Gunsten seiner anderen
Abkömmlinge, insbesondere auch der damals von ihrer Mutter zurückgelassenen
Enkelkinder zu testieren und sein Vermögen in vollem Umfang diesen zuzuwenden.
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